Der soziale Aspekt des Läbesruums überzeugt uns einfach sehr
12. Dezember 2024«Bei uns im Läbesruum können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Selbstwirksamkeit erleben»
Fabian Hansen ist seit fünf Jahren Sozialarbeiter im Läbesruum. Er begleitet unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Beschäftigungsprogrammen Eulachstrand und Spiel- & Sportbörse. Mit uns blickt er auf das Jahr 2024 zurück.
Wenn du auf die vergangenen zwölf Monaten zurückblickst, was wird dir besonders in Erinnerung bleiben?
Eine ganze Menge! Im 2024 konnte ich viele Erstgespräche führen, die meisten führten auch zu einem Start – was für die meisten schon ein grosser Schritt ist.
In diesem Jahr ist mir eine Person besonders in Erinnerung geblieben. Wenn man ihr auf der Strasse begegnet, kommt einem eine sportliche und gepflegte Person entgegen. Doch im direkten Gespräch zeigt sich eine ganz andere Seite – ein Mensch, der einiges durchmachen musste, immer wieder gehört hat, was er alles nicht kann und dadurch einen sehr tiefen Selbstwert hat. Es fehlte an Glauben an sich selbst und an die eigenen Fähigkeiten. Nach seinen Aussagen war der Läbesruum der erste Ort, welcher das Gefühl vermitteln konnte, etwas zu können und dies auch gut zu machen. Die ständige Suche nach Fehlern war nicht mehr zentral, heute hören wir: «Ich kann etwas und ich werde mein Ziel erreichen!» Was die Person auch geschafft hat: Sie hat nun alles im Rucksack, was es für den regulären Arbeitsmarkt braucht.
Hat dich noch jemand beeindruckt?
Da wäre die Person mit einer sozialen Phobie. Sie hatte sich jahrelang zu Hause eingeschlossen. Doch schon beim Erstgespräch konnte sie sich etwas öffnen. Im Verlauf der letzten Monate machte sie grosse Fortschritte. Zu Beginn arbeitete sie jeweils allein in einem Raum. Heute kann sie mit den anderen in einer Gruppe arbeiten und sitzt beim Znüni mit am Tisch! Das war vor einigen Monaten noch unvorstellbar. Damit solche Erfolge möglich sind, ist es uns im Läbesruum wichtig, eine Umgebung zu schaffen, in der Mitarbeitende so sein können, wie sie sind. Sie sollen sich wohlfühlen und wir konzentrieren uns auf ihre Stärken und Lösungen.
Für diese Person war es eine grosse Hilfe, zu wissen, dass sie sich jederzeit zurückziehen konnte, wenn sie das Bedürfnis danach hatte. Dadurch konnte sie ihre Ängste Stück für Stück abbauen und ein Gefühl von Sicherheit entwickeln: Sie hat gelernt, dass ihr unter Menschen nichts passiert. Deshalb muss sie sich bei uns kaum mehr zurückziehen. Ausserhalb des Läbesruum ist es nach Aussage der Person noch immer schwierig, aber ich bin überzeugt, dass die Person bei uns auch dafür das nötige Selbstvertrauen aufbauen kann.
Was braucht es für solche Fortschritte?
Ich glaube, dass die Selbstwirksamkeit ein sehr wichtiger Baustein ist, um kleinere und grössere Erfolge zu erzielen. Die Menschen müssen an sich und ihre Fähigkeiten glauben. Und sie müssen das Vertrauen haben, Herausforderungen selbst bewältigen zu können und damit ein Ziel zu erreichen.
Als Vater wird mir gerade jetzt wieder bewusst, wie kleine Kinder immer wieder Neues ausprobieren wollen. Es liegt einfach in der Natur des Menschen, sich für sich und ihre Umwelt zu interessieren, sich entwickeln und vorankommen zu wollen. Wenn ein Mensch über lange Zeit die Erfahrung macht, Dinge nicht richtig zu machen, nicht gut genug zu sein, geht die Motivation irgendwann verloren. Er verliert das Interesse, sich weiterzuentwickeln – ganz nach dem Motto: «warum soll ich es versuchen, ich kann es sowieso nicht.» Als Sozialarbeiter sehe ich meine Aufgabe darin, unsere Mitarbeitenden dabei zu unterstützen, das neugierige und unerschrockene Kind in sich wiederzuentdecken und hervorzuholen.
Wie gelingt euch das?
Durch individuelle Förderung von unseren Mitarbeitenden können im Arbeitsalltag kleinere und grössere Erfolge erreicht werden. Das kann zum Beispiel sein, dass jemand die Sauce für den Zmittag macht. Wenn diese Person dafür ein Kompliment bekommt, stärkt dies die Selbstwirksamkeit. Unsere Arbeitsagoginnen und -agogen leisten hier tagtäglich extrem wertvolle Arbeit.
Und du?
Als Sozialarbeiter bin ich eher im Hintergrund. Mein Fokus liegt auf dem Erstgespräch, wenn eine Person das erste Mal in den Läbesruum kommt. Fühlt sich die Person in diesem Gespräch wohl, ist ein wertvoller Grundstein gelegt, um den Eintritt bei uns zu schaffen. Für viele ist es ein grosser Meilenstein, an dieses Gespräch zu kommen. Im Läbesruum dann anzufangen, ist der zweite grosse Schritt, der aber kleiner wird, je besser das Erstgespräch läuft.
Grundsätzlich behalte ich alle Personen im Beschäftigungsprogramm im Auge: Wo stehen sie? Was sind ihre Ziele? Was steht ihnen noch im Weg? Welche Förderung brauchen sie? Die Mitarbeitende sehen oft viele «Steine» im Weg, wissen aber manchmal nicht, welcher «Stein» zuerst weggeräumt werden soll und mit welcher «Schaufel». Ich versuche mit den Mitarbeitenden den richtigen «Stein» und die passende «Schaufel» zu finden. Bestenfalls schafft es die Person dann selbst (-wirksam) die «Steine» Schritt für Schritt aus dem Weg zu räumen.
Welche Personen haben sonst noch bleibenden Eindruck hinterlassen?
Da wäre diese Person, die aussergewöhnlich schnell Deutsch gelernt hat. Neben der Arbeit bei uns und ihrer Familie hat sie in jeder freien Minute geübt und spricht bereits nach einem halben Jahr sehr gut Deutsch. Auf meine Frage, wie sie das geschafft hat, antwortete die Person: «Ich will es können. Schnell!» Das zeigte mir einmal mehr, wie ein starker innerer Wille Bäume versetzen kann.
Oder dann eine andere Person, welche eine grosse Dankbarkeit dem Leben gegenüber zeigt. Die Person wuchs an einem Ort auf, wo es nicht viel gab. Besonders in einer Grossfamilie von zehn Geschwistern. Für die Person ist vieles nicht selbstverständlich und sie empfindet daher eine grosse Dankbarkeit. Dadurch entsteht auch grosse Motivation und Freude an allem. Neben der Arbeit besucht diese Person auch unser Bildungsangebot und saugt dort jedes Wort auf. Nach wenigen Monaten steht sie nun bereits vor dem nächsten Schritt in unserem Stufenmodell.
Ein starker Wille und eine tiefe Dankbarkeit können einen unglaublichen Antreiber sein.
Was motiviert dich in deiner Arbeit?
Die Vielseitigkeit meiner täglichen Arbeit. Auf die individuellen Herausforderungen der Mitarbeitenden eingehen zu können, motiviert mich sehr.
Dann gibt es immer wieder Mitarbeitende, die privat keine sozialen Interaktionen haben. Sie kommen gerne zur Arbeit, weil sie sich dort austauschen können und jemanden zum Lachen haben. Im Läbesruum werden sie wahrgenommen und sind Teil einer Gruppe. Ein weiteres schönes Ergebnis dabei: Sie merken, dass sie auch bei anderen Themen wie zum Beispiel Herausforderungen im Privatleben etwas bewirken können und so ins Handeln kommen – das zu begleiten ist für mich sehr bereichernd.
Ich könnte noch einiges aufzählen, aber wenn ich so zurückblicke, motiviert mich in meiner Arbeit vor allem die Dankbarkeit der Mitarbeitenden. Viele sind sehr dankbar dafür, dass sie einen (Läbes-)Raum haben, in dem sie so sein dürfen, wie sie sind. In dem ihnen jemand zuhört, ihnen hilft oder sie dabei unterstützt, wie sie sich selbst helfen können.
Vielen Dank Fabian!
Interview: Noemi Bertet